Die Verschärfung der Sanktionen im Bußgeldkatalog durch die seit dem 28.04.2020 geltende StVO-Novelle ist bei Verkehrsrechtlern überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Insbesondere die Verhängung von Fahrverboten bei Geschwindigkeitsüberschreitungen ab 21 km/h innerorts und 26 km/h außerorts wurde als unverhältnismäßig kritisiert.
Das Regelwerk gilt als unausgewogen. So wird bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts von 20 km/h lediglich ein Verwarngeld verhängt. Punkte werden im Fahreignungsregister nicht eingetragen. Fährt man in diesem Fall aber 21 km/h zu schnell, wird sofort die nach der Entziehung der Fahrerlaubnis schwerste Sanktion verhängt, nämlich das Fahrverbot.
Verkehrsminister Scheuer hat Nachbesserung versprochen. Diese kann allerdings wegen der Beteiligung des Bundesrats viel Zeit in Anspruch nehmen.
Wegen eines Fehlers bei der Formulierung der entsprechenden Verordnung wird dem Verkehrsminister die Mühe nun aller Voraussicht nach erspart bleiben. Die gesamte Novelle dürfte nichtig sein, weil das sog. verfassungsrechtliche Zitiergebot missachtet wurde (Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG). Dieses Gebot bestimmt, dass die Ermächtigungsgrundlagen für eine Verordnung vollständig benannt werden müssen.
Die Verordnung bezieht sich mit der Zitierung von § 26a Abs. 1 Nr. 1 und 2 StVG aber nur auf die Ermächtigungsgrundlagen für das Erlassen von Vorschriften über Verwarngelder und Regelgeldbußen – nicht aber für Fahrverbote. Ein Verstoß gegen das Zitiergebot wird vom Bundesverfassungsgericht als so schwerwiegend angesehen, dass er regelmäßig die Nichtigkeit der gesamten Verordnung zur Folge hat (vgl. BVerfG, Urteil vom 06. Juli 1999 – 2 BvF 3/90).
Aufgrund der engen Wechselwirkung von Fahrverbot und Geldbuße ist nicht lediglich von einer Teilnichtigkeit der Verordnung bezüglich der Fahrverbote auszugehen. Einer Teilnichtigkeit würde auch der Grundsatz der Rechtssicherheit entgegenstehen. Es darf keine Rechtsunsicherheit darüber bestehen, welche Teile der Verordnung wirksam sind und welche nicht.
Dies bedeutet, dass sämtliche Bußgeldbescheide für Verstöße die ab dem 28.04.2020 begangen wurden rechtswidrig sein können.
Betroffene sollten solche Bußgeldbescheide dringend von einem auf Verkehrsrecht spezialisierten Rechtsanwalt überprüfen lassen.
Das Verkehrsministerium hat übrigens bereits Erfahrung in der Sache. 2010 erklärte der damalige Verkehrsminister Ramsauer die StVO-Novelle 2009 gleich selbst für nichtig – wegen eines Verstoßes gegen das Zitiergebot.